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 Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte aus dem Bochumer Umfeld

 

Brakelmann, Günter:

-         Protestantische Kriegstheologie im Ersten Weltkrieg. Reinhold Seeberg als Theologe des deutschen Imperialimus, Bielefeld 1974

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-         Der deutsche Protestantismus im Epochenjahr 1917, Witten 1974

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-         Hrsg.: Kirche im Krieg. Der deutsche Protestantismus am Beginn des Zeiten Weltkrieges, München 1979

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-         Kirchliches Reden beim Ausbruch des Zeiten Weltkrieges, in: WPKG 1979

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-         Hoffnungen und Illusionen evangelischer Pfarrer am Beginn des 3. Reiches, in: Peukert ua. „Die Reihen fast geschlossen“, 1981

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-         Kirche in Konflikten ihrer Zeit. Sechs Einblicke, München 1981

 

-         Nationalprotestantismus und Nationalsozialismus, Festschrift für Hans Mommsen, Berlin 1995

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-         Barmen V – Ein historisch-kritischer Rückblick als Voraussetzung seiner Vergegenwärtigung, in: Ev. Th.1985

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-         Die Bochumer Bekenntnisse des Jahres 1933, in: Festschrift Werner Jochmann, Hamburg 1986

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-         Evangelische Kirche in sozialen Konflikten der Weimarer Republik. Das Beispiel des Ruhreisenstreits, Bielefeld 1986

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-         Ruhrgebiets-Protestantismus, Bielefeld 1987

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-         (Mit Martin Rosowski) Antisemitismus, Göttingen 1987

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-         In: Frieden mit der Sowjetunion (Hg. Goldschmidt), Gütersloh 1989: Das Verhältnis des Protestantismus zum Sozialismus 1848 bis zur Revolution 1918/19 und Protestantische Positionen im Kampf gegen den Bolschewismus am Vorabend des Dritten Reiches

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-         Krieg und Gewissen. Otto Baumgarten als Politiker und Theologe im ersten Weltkrieg, Göttingen 1991

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-         Verhängnis-Versagen-Irrtum-Schuld. Anmerkungen zum Umgang mit kirchlicher Zeitgeschichte, in: KZG 1991

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-         (Zusammen mit Traugott Jähnichen) Die protestantischen Wurzeln der sozialen Marktwirtschaft, Gütersloh 1994

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-         Hans Ehrenberg. Ein judenchristliches Schicksal in Deutschland, 3 Bde Waltrop 1997ff

-         (Zusammen mit Jähnichen und Friedrich) Kirche im Ruhrgebiet, Essen 1998, dazu die Zeitschrift „Kirche im Revier“

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-         Für eine menschlichere Gesellschaft, Bd.1, Bochum 1996; darin: Konfessioneller Nationalismus, Kirche im zweiten Weltkrieg, Protestanten im Widerstand – Ambivalenz von Niederlage und Befreiung

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-         Bd. 2 Bochum 2001: Evangelische Wirtschaftsansätze im Kontext der sozialen Frage des 19. und 20. Jahrhunderts – Das Lutherjahr 1917 – Konfessionelles Bewusstsein im werdenden Ruhrgebiet 1870 bis 1918 – Die Anfänge der kirchlichen Industrie- und Sozialarbeit in Westfalen – Christen im Widerstand: Die Freiburger Denkschriften

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-         „Der Christ und die Wirtschaft“: Wilhelm Menn. Zur Geschichte und Aktualität des Verhältnisses von Kirche und Wirtschaft. In: Festschrift für Theodor Strohm, 1998

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-         (Zusammen mit Belitz u. Friedrich) Aufbruch in soziale Verantwortung, Bd. 1 Darin: Die Bedeutung Bethels als sozialpolitisches Zentrum – Ein Fallbeispiel: Der FAD in Bochum; Bd.2: Geschichte der Wislade in der Zeit der Weimarer Republik

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-         Evangelische Kirche und Judenverfolgung. Drei Einblicke, Waltrop 2001

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-         Der Kreisauer Kreis (Bd.1), Die Kreisauer: folgenreiche Begegnungen (Bd.2) Münster 2004-

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-         Der Kreisauer Kreis, in: Steinbach / Tuchel, Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur, Bonn 2004

 

-         Harald Poelchau in der Zeit der Weimarer Republik und des nationalsozialistischen Systems, in : Harald Poelchau, Berlin 2004

 

-     "Ihr Ende schaut an...", Evangelische Märtyrer im 20. Jahrhundert, hg. von Harald Schultze u.a. Leipzig 2006, darin die Artikel über.

      Helmut James von Moltke, Peter Yorck von Wartenburg, Adam von Trott zu Solz, Theodor Haubach, Justus Delbrück, Caesar von Hofacker, Adolf   Reichwein, Henning von Tresckow

 

-    Brakelmann / Keller (Hg.): Der 20. Juli 1944 und das Erbe des deutschen Widerstands, Münster 2005, darin die Beiträge: Der Kreisauer Kreis als christliche Widerstandsgruppe und Helmuth James von Moltke und Alfred Delp - Haft, Prozeß und Tod

 

-    Brakelmann /Jähnichen (Hg.): Dietrich Bonhoeffer - Stationen und Motive auf dem Weg in den politischen Widerstand, darin der Beitrag: Dietrich Bonhoeffers Tätigkeit in der Konspiration 1939 - 1945

 

-         Zu meinem Selbstverständnis, was kirchliche Zeitgeschichte angeht, s. Mein historisches Forschen, in: Dietrich Meyer (Hg.) Kirchengeschichte als Autobiographie, Köln 2002

 

 

Herausgabe von Reihen mit Bezügen zur kirchlichen Zeitgeschichte:

 

Zusammen mit Martin Greschat: Studienbücher zur Kirchlichen Zeitgeschichte, München 1979ff

 

Zusammen mit Hartmut Przybylski: Schriften zur sozialen Geschichte des neuzeitlichen Christentums, Bielefeld 1987ff

 

Zus. Mit Traugott Jähnichen und K.W.Dahm: Entwürfe zur christlichen Gesellschaftswissenschaften, darin: Auf dem Weg zum Grundgesetz. Beiträge zum Verfassungsverständnis des neuzeitlichen Protestantismus, Münster 1999

 

Zus. Mit Traugott Jähnichen und Norbert Friedrich: Bochumer Forum zur Geschichte des sozialen Protestantismus, Bd. 1: Profile in der Weimarer Republik, Münster 2000,

Bd. 2: Sozialer Protestantismus im Vormärz,Münster 2001; Bd. 3:  Gesellschaftspolitische Neuorientierungen des Protestantismus in der Nachkriegszeit, Münster 2002; Bd. 4: Sozialer Protestantismus im Nationalsozialismus, Münster 2003

Demnächst Bd. 5: Protestantische Profile in der Nachkriegszeit, darin ein Porträt über Eberhard Müller

 

Zusammen mit Helmut Geck: Recklinghäuser Forum zur Geschichte von Kirchenkreisen

 

 

Dissertationen mit Bezügen zur kirchlichen Zeitgeschichte

 

Hartmut Przybylski: Von der Studentenbewegung ins Gemeindepfarramt, FFm 1984

 

Traugott Jähnichen: Vom Industrieuntertan zum Industriebürger. Der soziale Protestantismus und die Entwicklung der Mitbestimmung 1848 – 1955, Bochum 1993

 

Ders. Sozialer Protestantismus und moderne Wirtschaftskultur, Münster 1997

 

Deike, Heinz: Der Waffendienst der Theologen als Problem des neuzeitlichen Protestantismus, Münster 1999

 

Dirk Bockermann: „Wir haben in der Kirche keine Revolution erlebt“ – Der kirchliche Protestantismus in Rheinland und Westfalen 1918/19, Köln 1998

 

Susanne Schatz: Arbeitswelt Kirche. Mitbestimmung und Arbeitsbeziehungen kirchlicher Beschäftigter in der Weimarer Republik, FFm 1999

 

Edith Stallmann: Martin Stallmann. Pfarramt zwischen Republik und Führerstaat, Bielefeld 1989

 

Marlis Henning: Die gemeinsame Arbeit der Konfessionen im Bergbau, , Bochum 1995

 

Dieter Beese: Seelsorger in Uniform. Evangelische Militärseelsorge im Zweiten Weltkrieg,, Hannover 1995

 

Kordula Schlösser-Kost: Evangelische Kirche und soziale Fragen 1918 – 1933. Die Wahrnehmung sozialer Verantwortung durch die rheinische Provinzialkirche, Köln 1996

 

Norbert Friedrich: „Die christlich-soziale Fahne empor!“. Reinhard Mumm und die christlich-soziale Bewegung, Stgt.ua. 1997

 

Ulrich Meier: Kirche und Politik in Dortmund 1928-1935, Bochum 1990

 

Tilmann Bendikowski: „Lebensraum für Volk und Kirche“. Kirchliche Ostsiedlungsarbeit in der Weimarer Republik und im „Dritten reich“, Stgt. ua 2002

 

Christian Ilian: Der Evangelische Arbeitsdienst. Krisenprojekt zwischen Weimarer Demokratie und NS-Diktatur, ?

 

Rosowski, Martin: Der christlich-soziale Volksdienst in der Weimarer Republik, ?

 

 

Weitere kooperative Veröffentlichungen

 

Licharz, Werner / Keller, Manfred (Hg.) Franz Rosenzweig und Hans Ehrenberg. Bericht einer Beziehung, FFm 1986

 

Harry Jablonowski (Hg.) Kirche und Gewerkschaften im Dialog, 2 Bde. Bochum 1987

 

Spanhofer, Kai Uwe: Wilhelm Viertmann. Bekenntnis und Widerstand im Leben eines westfälischen Pfarrers in der NS-Zeit, Bielefeld 1988

 

Friedemann, Peter: Johannes Zauleck .- ein deutsches Pfarrerleben zwischen Kaiserreich und Diktatur, Bielefeld 1990

 

Hübner, Jörg: Nicht nur Markt und Wettbewerb (über Friedrich Karrenberg),

Bochum 1993

 

Walter, Richard: Kirche vor ort. 100 Jahre Evangelische Kirchengemeinde Rotthausen, Bielefeld 1993

 

Jähnichen, Traugott: Zwischen Tradition und Moderne. Die protestantische Bautätigkeit im Ruhrgebiet 1871-1933, Bochum 1994

 

Jennemann-Henke, Ursula: Protestantismus im Ruhrgebiet von 1870/71 bis heute.

Eine Bibliographie, Bochum 1998

 

Jähnichen – Friedrich (Hg.): Den Wandel gestalten. 50 Jahre Gemeinsame Sozialarbeit der Konfessionen im Bergbau, Essen 2000

 

Birgitt und Traugott Jähnichen: Gehorsam und Widerspruch. Der Lebensweg der Theologin Hannelore Reiffen, Waltrop 1996

 

Rosowski, Martin: Albert Schmidt 1893-1945, Bochum 1994

 

Frank von Auer / Franz Segbers (Hrsg.): Sozialer Protestantismus und Gewerkschaftsbewegung, Köln 1994

 

Dirk Bockermann: Die Anfänge des Kirchenkampfes in Hagen 1932-1935,

Bielefeld 1988

 

SWI u.a. Der Konsultationsprozeß. Die Kirchen in der Diskussion zu wirtschaftlichen und sozialen Fragen, FFm 1997

 

Jähnichen / Friedrich: Geschichte der sozialen Ideen im deutschen Protestantismus, in: Helga Grebing, Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland, Essen 2000

 

 

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Günter Brakelmann: Geistige Textur der Sozialen Marktwirtschaft

 

Günter Brakelmann:

 

Zur geistigen Textur der Sozialen Marktwirtschaft

 

Um die Konzeption der sog. Sozialen Marktwirtschaft zu verstehen, ist es geboten, an ihren geschichtlichen „Sitz im Leben“ zu erinnern. Sie versteht sich als einen Versuch, auf eine Reihe von historischen Erfahrungen mit Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu antworten.

Der unmittelbare kritische Rückbezug sind dabei die Systeme des Nationalsozialismus und des stalinistischen Bolschewismus. Beide haben je von ihren verschiedenen Voraussetzungen her Formen und Prinzipien einer „Lenkungswirtschaft“ entwickelt, um die gesamte Ökonomie ihren politischen und ideologischen Zielen dienstbar zu machen.

Schon während der NS-Zeit und vollends in der Nachkriegszeit haben einige Wirtschaftswissenschaftler versucht, eine kritische Aufarbeitung der bisherigen Wirtschaftsordnungsmodelle und ihrer Praxis zu beginnen, um Ansatzpunkte für ein neues Verständnis von der Rolle der Wirtschaft in einer neuen Staats- und Gesellschaftsordnung zu gewinnen.

Dieser historisch-kritische Ansatzpunkt sollte verhindern, eine weitere ungeschichtliche, ideologisch gewonnene Ordnungskonzeption zur Rettung aus dem Zusammenbruch zu entwerfen. Nicht im Namen einer höheren philosophischen oder religiösen Wahrheit oder im Namen einer säkularen Heilslehre entwarf man ein neues Handlungsmodell, sondern man zog ordnungspolitische Konsequenzen für eine neue Zukunft angesichts des geistigen und moralischen Trümmerhaufens nach dem Krieg.

Es ist ein Bündel von Grundüberzeugungen zu benennen, will man die innere Textur der Sozialen Marktwirtschaft verstehen:

1.      Philosophische Aufklärung und der ihr verpflichtete politische Liberalismus hatten im neuzeitlichen Europa den Wert und die Würde des Individuums vor allen staatlichen Ansprüchen entdeckt. Die realpolitische Praxis aber ging in Deutschland weithin einen anderen Weg. Eine antiaufklärerische, antiliberale Tradition gipfelte im nationalsozialistischen System. Die Person des einzelnen erhielt ihren Wert je nach ihrer Nützlichkeit für das Ganze. Eine völkisch-nationale Instrumentalisierung des einzelnen bestimmte die Alltagspraxis. An die Stelle der Geltung von Grund-und Menschenrechten trat eine Gehorsamsverpflichtung gegenüber dem System und seinem Führer. Befehl und Gehorsam, Einordnung und Unterordnung bestimmten den Umgang miteinander. Die Sprache degenerierte zur Befehlssprache, zur Anweisung von oben.

2.      Es ist diese historische Erfahrung, die die Theoretiker der Sozialen Marktwirtschaft die fundamentale Rolle des einzelnen für eine humane Ordnung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat wiederentdecken läßt. Diese Entscheidung für einen konsequenten Personalismus ist die Antwort auf seine vorauslaufende Liquidierung in den totalitären Systemen des Faschismus und Bolschewismus. Die Mittelverwendung des Menschen für ideologische Ziele hatte praktisch zur Aufhebung von Alltagshumanität geführt. Nicht nur der Mensch als politisches Wesen, sondern auch als arbeitendes, wirtschaftendes Wesen wurde in eine totalitäre Partei- und Staatspraxis einbezogen. Wirtschaft wurde in den Dienst für machtpolitische imperiale Zwecke gestellt. Die Aufhebung der Wirtschaftsfreiheit war die Konsequenz. Dem politischen Befehlssystem entsprach die Befehlswirtschaft, die Lenkungswirtschaft, die Maßnahmenwirtschaft.

3.      Auf diesem Hintergrund totalitärer Systeme wird die Gegenstrategie einer neuen Wirtschaftsordnung entwickelt, die von Alfred Müller-Armack den Namen „Soziale Marktwirtschaft“ erhalten hat. Ihr zugrunde liegt zunächst eine fundamentale anthropologische Entscheidung, dh eine Entscheidung für ein bestimmtes Verständnis des Menschen. Der einzelne als  P e r s o n  vor allen Kollektiven wie Volk, Staat, Klasse, Rasse, Gemeinschaft oder was auch immer steht im Zentrum jeder Ordnung. Er kann nicht für außerhalb seiner Bedürfnisse und Interessen liegende Zwecke instrumentalisiert werden. Er hat einen Eigenwert, der nicht zerstört werden kann.

4.      Diese Wiederentdeckung und Wiedereinsetzung des Menschen als Person nach Zeiten seiner Verbiegung und Verkrümmung zum Funktionär von Kollektiven bedeutet seine Befreiung zu dem, was er in der Regel ist: ein Wesen mit Eigeninteresse und Eigenverantwortung wie mit Verantwortung für das Gemeinwohl. Wer dieses Potential des und der Menschen bewußt und planmäßig unterdrückt, nimmt dem Menschen und der Gesellschaft eine entscheidende Triebkraft. Wer aus einer Wirtschaftsordnung das Eigeninteresse und die Selbstverantwortung des Menschen herausorganisiert und an die Stelle der Selbstverantwortlichkeit das Prinzip der Zuweisungen von Lebenschancen durch Bürokraten und Funktionäre setzt, nimmt der Wirtschaft das dynamische Element. Eine Zentralverwaltungswirtschaft mag vielleicht den allgemeinen Mangel gerecht verteilen, aber sie läßt das vorhandene Potential von Eigeninteresse nicht zum Ausspielen kommen und tötet damit die wirtschaftliche Effektivität. Die Soziale Marktwirtschaft zeichnet sich zunächst durch ein klares Ja zur Selbstverantwortlichkeit des einzelnen Menschen aus und setzt auf die von ihm entwickelten Motivationen und Ziele. Der einzelne Mensch steht unter der Pflicht, für sich selbst und die Seinen zu sorgen. Alexander Rüstow formuliert:

„Es ist nun eben sozusagen das Kolumbusei der Marktwirtschaft, daß sie diese als selbstverständlich voraussetzbare Pflicht und Aufgabe jedes einzelnen Menschen. zunächst einmal nach besten Kräften für sich und die Seinigen zu sorgen, als ungebremste Triebkraft benutzt; denn sie kann darauf jederzeit ohne weiteres bei jedem normalen Menschen rechnen. Alle anderen Wirtschaftsformen dagegen müssen predigen; weil hier Eigeninteresse und Gesamtinteresse nicht wie bei der Leistungskonkurrenz der Marktwirtschaft gleichgeschaltet sind, sondern im Widerstreit liegen, müssen sie gegen den Egoismus zu Felde ziehen, unter Hinweis auf das Allgemeinwohl an die Opferbereitschaft des einzelnen appellieren... Aber solche Appelle und Predigten pflegen auf die Dauer und im Durchschnitt leider wenig Erfolg zu haben. Von der Regierung durch Predigt muß man meist sehr schnell zur Regierung durch Drohung und schließlich zur Regierung durch Terror übergehen...Wer nicht hören will, muß fühlen, und zum Schluß kommt dann eben das Konzentrationslager oder der berüchtigte Schuß in den Hinterkopf.“

 

Dieses Zitat gibt uns weitere Einblicke in die Struktur einer Wirtschaftsordnung nach dem Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft:

-         Dem vorausgesetzten Eigeninteresse und der Selbstverantwortung entspricht das Ordnungsmodell einer Marktwirtschaft. Über den Markt werden die Einzelinteressen koordiniert. Ein freier Zugang zu diesem Markt ist die Voraussetzung, das Eigeninteresse durchzuspielen und einen Effekt zu gewinnen. Der Einzelne ist Teilhaber an einem Markt und nicht Objekt in einem verwalteten Apparat.

-         Auf dem Markt konkurrieren die einzelnen Wirtschaftssubjekte miteinander. Die Konkurrenz als Leistungswettbewerb führt dazu, daß technischer und ökonomischer Fortschritt realisiert werden. Das Wettbewerbsprinzip, das zur optimalen Ausnutzung von Geld, Zeit und Arbeitsorganisation erzieht, führt zu Wirtschaftswachstum. Dieses Wachstum ist das Fundament, die Menschen immer besser mit Gütern zu versorgen und ihre materiellen und immateriellen Bedürfnisse immer besser zu befriedigen.

-         An dieser Stelle fließen nun Eigeninteresse und Gemeinwohl ineinander. Die mit den Prinzipien des Wettbewerbs gewonnenen materiellen Zuwächse für einzelne erhöhen gleichzeitig den materiellen Wohlstand aller. Der Eigennutz schafft gleichzeitig den Gemeinnutz.

-         Zum Grundbild der Sozialen Marktwirtschaft gehört also eine dynamische Marktwirtschaft mit dem Prinzip der freien Leistungskonkurrenz. Die Regelmäßigkeiten und die Gesetzmäßigkeiten der Marktwirtschaft werden genutzt, um die Produktivität und damit den Wohlstand aller an der Wirtschaft beteiligten Subjekte und Gruppen zu erhöhen. Das heißt also: die auf Wachstum setzende Marktwirtschaft hat schon in sich selbst einen sozialen Effekt. Marktwirtschaft und sozialer Fortschritt sind schon im Ansatz keine Gegensätze, sondern bedingen einander. Die Effektivität des marktwirtschaftlichen Systems ist die Voraussetzung für die Schaffung eines ausgebauten Sozialsystems.

-         Freiheitliches Marktsystem und gerechteres Sozialsystem ergeben sich aber nicht von selbst. Der Markt produziert von sich her nicht soziale Gerechtigkeit. Der sich selbst überlassene Markt führt zu Monopolbildungen, die den Konkurrenten wegdrücken und willkürliche Preise setzen. Die Ordnungsaufgabe besteht deshalb darin, den Segen marktwirtschaftlicher Effektivität nicht durch rigide Verdrängungspraxis verkommen zu lassen, sondern die Marktwirtschaft unter Rahmenbedingungen zu stellen, die ungerechtfertigte Machteinflüsse auf den Markt verhindern oder anders: eine Wettbewerbsordnung zu schaffen, die einen dynamischen Markt mit seinen vielfachen Einzelentscheidungen ermöglicht und gleichzeitig vor den Gefahren eines anarchischen Wettbewerbs schützt. Eine ordnunggestaltende Institution ergibt sich als Notwendigkeit. Während der sog. Altliberalismus vorrangig den Funktionsunterschied von Staat und Markt betont hat, bekommt nun von der inneren Logik der Sache her der Staat - hier in der Figur des demokratischen Rechts-und Sozialstaates gedacht – im Denken des Neu- oder Ordo-Liberalismus eine konstitutive Rolle. Alexander Rüstow formuliert:

-         „Die positive Wirkung des Marktes kann nicht, wie der alte Liberalismus meinte, durch Quietismus, durch Laufenlassen nach der Maxime ‚laisser-faire, laisser-passer‘ herbeigeführt werden. Dazu bedarf es vielmehr eines starken und neutralen Staates, der die Marktpolizei in die Hand nimmt, der jenen Bereich der Leistungskonkurrenz, innerhalb dessen allein die Koinzidenz zwischen Einzelinteresse und Gesamtinteresse statt hat, abgrenzt und dafür sorgt, daß die private Wirtschaft sich nur innerhalb dieses Bereichs bewegt und jede Grenzüberschreitung verhindert wird. Zu diesem Zweck darf und muß der Staat auch in die Wirtschaft eingreifen.“

 

Für unseren Zusammenhang bedeutsam ist es, daß die Konzeption des Ordo-Liberalismus als die Theorie der Sozialen Marktwirtschaft den Grundgedanken der Freiheit ergänzt durch ein ordnungsetzendes und ordnungsregulierendes Handeln des Staates. Die Eigengesetzlichkeiten des Marktes werden, sofern sie kontraproduktiv sind im Blick auf die Freiheit der Marktsubjekte, zur Korrektur gebracht. Die Marktgesetze werden dabei nicht aufgehoben, sondern anders ausgerichtet. Oder anders gesagt: der Ordnungsauftrag des Staates hat die Priorität auch und gerade gegenüber der Wirtschaft. Er äußert sich in der Setzung von Rahmenbedingungen, die von den Marktteilnehmern einzuhalten sind. Die Sache des Staates ist also Wirtschaftspolitik im Sinne der Gestaltung von Ordnungsformen der Wirtschaft, aber nicht im Sinne der Lenkung des Wirtschaftsprozesses selbst. Staatliche Ordnungstätigkeit kann also nicht den Markt aufheben, sondern wacht über seine Funktionsfähigkeit. Die Eingriffe seinerseits müssen also tendenziell marktkonform sein. Richtet staatliches Handeln Konfusion auf dem Markte an, so ist es nicht sachgerecht gewesen.

Diese Rolle des Staates, die nichts mit „Lenkungswirtschaft“ zu tun hat, hat auch nichts zu tun mit der altliberalen Forderung nach völliger Abstinenz des Staates in wirtschaftlichen Fragen, auch nichts mit einem Staatsinterventionismus, der je und dann unter dem Druck von mächtigen Teilinteressen zu ihren Gunsten in die Wirtschaftsmechanismen eingreifen soll..

Festzuhalten ist dieses: eine Wirtschaftsordnung nach dem Grundbild der Sozialen Marktwirtschaft setzt einen starken, handlungsfähigen und handlungswilligen Staat voraus. Sie, die soziale Marktwirtschaft, setzt also politische Stabilität voraus.

 

5.      Daß der Staat ein starker Staat ( immer im Sinne der relativen Unabhängigkeit von partiellen Interessen ) zu sein hat, wird vollends als Notwendigkeit erwiesen, wenn es neben der Sicherung von Freiheit der politischen und wirtschaftenden Subjekte um die Herstellung von sozialer Gerechtigkeit geht. Wenn der Markt von sich her nicht soziale Gerechtigkeit schafft, wenn er das Prinzip der Solidarität nicht kennt, so ist es „umso dringender, außerhalb des Marktbereichs die Solidarität desto mehr zu stärken, teils zum kompensierenden Ausgleich, besonders aber auch, weil die Marktwirtschaft selbst einen solchen solidarischen Rahmen braucht, wenn sie befriedigend funktionieren und nicht zu einem ungeregelten anarchischen Kampf aller gegen alle ausarten soll.“

Der Staat hat also die Aufgabe der nachträglichen Korrektur der Marktergebnisse. Er hat das Mandat, distributiv tätig zu sein. Die Kriterien, die er hier anwendet, sind nicht dem Markt und seinen Gesetzen entlehnt, sondern sind aus der Tradition christlich-humanistischer Sozialethik entnommen. Gerechtigkeit und Solidarität bestimmen den Umverteilungsprozeß der marktwirtschaftlich erleisteten Ergebnisse.

Müller-Armack formuliert:

„Der Staat hat die unbestrittene Aufgabe, über den Staatshaushalt und die öffentlichen Versicherungen die aus dem Marktprozeß resultierenden Einkommensströme umzuleiten und soziale Leistungen, wie Kindergeld, Mietbeihilfen, Renten, Pensionen, Subventionen usw zu ermöglichen. Das alles gehört zum Wesen dieser Ordnung, und es wäre eine Farce, nur den unbeeinflußten Marktprozeß zu sehen, ohne seine vielfältige Einbettung in unsere staatliche Ordnung zu beachten.“

 

Dem Marktwirtschaftsprinzip hat also die Realität eines Sozialstaates zu entsprechen. Wirtschafts- und Sozialpolitik sind zwar zu unterscheiden, aber sie sind aufeinander zu beziehen. Der soziale Ausgleich für die Ungleichheit der Ergebnisse muß permanent geschehen.

 

Nun lassen sich einige Definitionen der Sozialen Marktwirtschaft erinnern und verstehen:

 

 

„Der Begriff der Sozialen Marktwirtschaft kann als eine ordnungspolitische Idee definiert werden, deren Ziel es ist, auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die marktwirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritte zu verbinden.“

 

 

Oder:

„Soziale Marktwirtschaft ist also überall dort, wo man sich den Kräften des Marktes anvertraut und versucht, alle vom Staate, von den sozialen Gruppen anzustrebenden Ziele in dem Doppelaspekt einer freien Ordnung und einer sozial gerechten und gesellschaftlich humanen Lebensordnung zu verwirklichen.“

 

Alexander Rüstow hat in diesem Konzept einen dritten Weg zwischen Laisser-faire-Kapitalismus und kommunistischer Planwirtschaft gesehen. Soziale Marktwirtschaft sollte die Wirtschaftsordnung freiheitlicher Demokratien als Synthese von Freiheit und Gerechtigkeit, von Selbstverantwortung und Solidarität sein.

 

6.      Man kann nun nicht bestreiten, daß die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland als eine „gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung“ eine große geschichtliche Leistung vollbracht hat. Sie hat sich nicht zuletzt deshalb als produktiv erwiesen, weil die Zustimmung zu ihr nicht an weltanschauliche oder ideologische Prämissen gebunden ist. Sie ist ein Ordnungsmodell, in dem Christen, Humanisten und Atheisten miteinander arbeiten können. Sie entspricht als eine instrumentale Ordnung unserer säkularisierten pluralistischen Gesellschaft. Sie stilisiert sich nicht zu einer Ersatzreligion, der man distanzlos anhängt und sich pathetisch zu ihr bekennt. Sie ist ein „weltlich Ding“, mit dem man sachlich richtig  und menschengerecht umgehen kann. Sie kann jederzeit korrigiert werden. Sie ist geschichtlich offen. Nur zwei Kriterien müssen immer zugleich verwirklicht werden: personale Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Die Spannungen zwischen ihnen, die immer sein werden, müssen immer wieder in politischen Kompromissen gelöst werden. Eine Balance zwischen beiden Zielen muß permanent gefunden werden.

 

  1. Müller-Armack hat gern vom „Stil der Sozialen Marktwirtschaft“ gesprochen:

 

 „Der Stil der sozialen Marktwirtschaft liegt darin, jenseits der Lösungen einer restaurativen Politik, die das Vergangene konserviert, oder eines Sozialdirigismus, der die freien Initiativen der Gesellschaft verkümmern läßt, und auch jenseits einer ungesteuerten, unkontrollierten Marktmechanik eine gesellschaftliche Lösung zu produzieren, in der alle Ziele einen möglichst realistischen Ausgleich finden. Diese Lösung ist eine irenische Formel, nicht ein utopischer Ansatz, der die gesellschaftlichen Aufgaben von irgendeiner Seite her durch Macht, Interventionen, Dirigismus, Konservativismus oder den Glauben an eine sich mechanisch verwirklichende Harmonie angeht.“

 

Was zu sehen ist: Soziale Marktwirtschaft ist kein in sich geschlossenes System, sondern ein Instrument, zwei Ziele zu erreichen, die durch politischen Ordnungswillen miteinander kombiniert werden: ökonomische Effektivität mit den Mitteln eines freien Wettbewerbs und Sozialstaatlichkeit nach den Kriterien eines christlich-humanistischen Solidarverständnisses. Freiheit der Person und soziale Gerechtigkeit sind die beiden Pole, die unter wechselnden Bedingungen immer wieder neu zu korrelieren sind. Insofern ist Soziale Marktwirtschaft ein immer wieder zu leistender politischer Leistungsprozeß auf dem Fundament marktwirtschaftlicher Praxis.

 

Müller-Armack formuliert:

„Die Soziale Marktwirtschaft ist gemäß ihrer Konzeption kein fertiges System, kein Rezept, das, einmal gegeben, für alle Zeiten im gleichen Sinne angewendet werden kann. Sie ist eine evolutive Ordnung, in der es neben dem festen Grundprinzip, das sich alles im Rahmen einer freien Ordnung zu vollziehen hat, immer wieder nötig ist, Akzente immer neu zu setzen gemäß den Anforderungen einer sich wandelnden Zeit.“

 

Es wird deutlich: hier wird radikal ernst gemacht mit der Geschichtlichkeit und damit der Offenheit und Unabgeschlossenheit aller Ordnungen. Man setzt Instumente ein, um mit Problemen umzugehen und zu zwischenzeitlichen Lösungen zu kommen. Dieses offene und variierbare Konzept arbeitet auf der politischen Handlungsebene mit den Mitteln von Reformen. Ein permanenter Reformismus, der nie an ein geschichtliches Ende kommt, wird die Weise, politische Verantwortung gegenüber dem Ökonomischen und dem Gerechtigkeitsmandat zu übernehmen. Und in der Tat lehrt die historisch-kritische Erfahrung: eine Kette von Reformen verändert die Welt zuverlässiger und humaner als Revolutionen aus utopischem Geist.

Man sieht: alles atmet den Geist pragmatischer Vernünftigkeit , allerdings im Dienst der geschichtlich gebotenen Verwirklichung der Grundwerte Freiheit und Gerechtigkeit.

Um letzteres allerdings zu erreichen, muß ein klar artikulierter politisch-moralischer Wille bei den Teilnehmern am Marktgeschehen vorhanden sein. Das Konzept und die Praxis der sozialen Marktwirtschaft schaffen ihrerseits nicht persönliche und solidarische Moralität,  sie setzen deren Dasein und Wirkungskraft voraus. Zuständig für die Lebendigkeit personaler und sozialer Moralität sind andere Institutionen: Elternhaus, Schule, Kirche und ähnliche Erziehungsagenturen. Man muß von Jugend an sachliches und mitmenschliches Denken und Handeln lernen und einüben. Sachgerecht und menschengerecht zugleich zu denken und zu handeln, erfordert einen bewußten Erziehungs- und Einübungsprozeß.

Jedenfalls setzt das Modell der sozialen Marktwirtschaft bei den Akteuren ein sittliches Fundament voraus, wenn man in Entscheidungs- und Konfliktfällen unterscheiden soll, was man verantworten und was man nicht verantworten kann. Neben dem notwendigen Sachwissen ist ein ausgebildetes, sensibles Gewissen die Voraussetzung, daß das Ordnungsinstrument Soziale Marktwirtschaft funktioniert. Das bedeutet: wenn die Prinzipien und die Realitäten von Selbstverantwortung und Leistungsbereitschaft, wenn ein freiheitliches Bewußtsein und das Empfinden für soziale Gerechtigkeit sich verflüchtigen, wenn nur noch das eigene Ich im Mittelpunkt steht, wenn solidarische Zuwendungen nicht mehr üblich sind, wenn der Sinn des Lebens nur noch in der Akkumulation von materiellen Werten gesehen wird, wenn also der christlich-humanistische Geist aus Menschen und Institutionen auswandert, dann hat auch das Konzept der sozialen Marktwirtschaft keine reale historische Chance mehr. Wenn Freiheits-und Gerechtigkeitsbewußtsein, wenn der Verschränkungszusammenhang von personaler und sozialer Verantwortung verloren geht, dann fehlt die moralische Unterfütterung der Veranstaltung, die wir soziale Marktwirtschaft genannt haben.

Und schließlich: wenn die Bürgertugenden der Arbeitsfreude, der Sauberkeit und Redlichkeit, des Pflichtbewußtseins und der Unbestechlichkeit sich dramatisch reduzieren sollten, so würde dieses Ordnungsmodell seinen inneren, geistig-moralischen Tod erleiden.

Wer unter uns zu jenen gehört, die in der Entwicklung einer sozialverpflichteten Marktwirtschaft eine gelungene Leistung der neueren deutschen Geschichte sehen, wer sich den politisch-moralischen Traditionen des Widerstandes gegen braunen und roten Totalitarismus verpflichtet weiß, wer in dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft den großen historischen Kompromiß zwischen Personalismus und Solidarismus, eben zwischen Freiheit und Gerechtigkeit sieht, wird sich dafür engagieren, daß wir in der Kontinuität dieser Geschichte bleiben.

Es geht auch heute unter veränderten Bedingungen um die Entwicklung einer sach-und menschengerechten Ordnung. Wir mögen in einzelnen Bereichen verschiedene Lösungsmöglichkeiten favorisieren, verbinden sollte uns alle die Verantwortung für unseren demokratischen Rechts- und Sozialstaat, der sich mit seinem Instrument der Sozialen Marktwirtschaft eine in der Vergangenheit bewährte und deshalb für die Zukunft zu bewahrende und auszubauende wirtschaftliche Grundordnung geschaffen hat. Unsere Zukunft entscheidet sich mit daran, ob wir in der Disziplin der geistigen Textur der Sozialen Marktwirtschaft unsere Probleme von heute und morgen angehen und bewältigen, dh in bewußter Treue zu den Ursprüngen in eigener Verantwortung Neues, Zukunftsträchtiges gestalten.

 

 

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